Der neue Mythos der Zukunft -

Zur narrativen und ästhetischen Positionierung von Andreas Brandhorsts OMNI innerhalb der Science Fiction

 

Andreas Brandhorsts Roman Omni (2016) entwirft den Auftakt zu einem gewaltigen neuen Science-Fiction-Kosmos: dem Omniversum, einem Zusammenschluss von Superzivilisationen, die das Universum ordnen, beobachten und im Notfall lenkend eingreifen. Im Zentrum der Handlung steht der Reisende Aurelius, ein Mensch, der von Omni auserwählt wurde, um zwischen den Sphären zu wandeln und Aufgaben von kaum fassbarer Tragweite zu übernehmen. Parallel dazu etabliert und erzählt der Roman die Geschichte von Forrester, einem ehemaligen Agenten, der sich mit seiner Tochter Zinnober am Rande der Milchstraße ein zurückgezogenes Leben eingerichtet hat – bis Ereignisse von außen ihn erneut in Konflikte hineinzwingen, die weit über das Persönliche hinausreichen.

Weitere Romane des Autors, die im Omniversum spielen und/oder diesem zugeordnet werden sind Das Arkonada-Rätsel (2017, Piper) und Ruf der Unendlichkeit (2022, Fischer/Tor).

Brandhorst verbindet hier klassische Space-Opera-Elemente – Raumschiffe, fremde Wesen, uralte Artefakte – mit einem großen metaphysischen Überbau. Die Reise führt in das sogenannte Sprawl, einen transitiven Raum (zwischen bekannten kosmischen Regionen und den Wirkungsbereichen überlegener Mächte/Intelligenzen), die weniger als exotische Kulisse funktioniert denn als erzählerisches Verdichtungsfeld. Man könnte sagen: Das Sprawl ist sowohl Topos als auch Metapher. Einerseits Schauplatz der Handlung – gefährlich, voller Anomalien und Fremdwesen. Andererseits markiert es erzählerisch den Übergang zwischen dem »menschlichen« Kosmos der Raumschiffe und Planeten und dem »übermenschlichen« Einflussbereich des Omniversums.

So entsteht ein Roman, der die Spannung von actionreicher Science Fiction mit philosophischen Tiefenschichten verbindet – eine Erzählung, die auf mehreren Ebenen funktioniert: als Abenteuergeschichte, als Einführung in ein neues Universum, als Reflexion über die Grenzen und Möglichkeiten des Menschlichen im Angesicht des Alls...

Omni beeindruckt durch eine seltene Kombination aus erzählerischem Atem, visionärer Bildkraft und philosophischer Grundierung. Brandhorst gelingt es, das Motiv der »Reisenden« als Figur zwischen menschlicher Erfahrung und kosmischer Verantwortung so zu gestalten, dass der Roman weit über das Genre der Space Opera hinausweist. Aurelius etwa ist nicht nur Abenteurer, sondern Träger einer uralten Aufgabe, »ein Bote, der zugleich Bewahrer und Suchender ist« –, eine Figur, die an archetypische Gestalten der Science Fiction erinnert, von Arthur C. Clarkes Stargate-Pionieren bis hin zu den transzendentalen Erkundern im Werk Stanisław Lems.

Besonders faszinierend ist, wie Brandhorst das Sprawl entwirft: ein Raum zwischen den Räumen, in dem Fremdes, Bedrohliches und Offenbarendes zugleich aufscheint. Hier verbinden sich actionhafte Elemente mit einem fast mystischen Unterton, der an die großen Übergangsorte der SF-Filmgeschichte erinnert – etwa den Monolith-Raum in Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) oder das Zwischenreich in Villeneuves Arrival (2016). Die Erfahrung des Unbegreiflichen wird in Omni nie zum reinen Selbstzweck (weder vor noch nach dem Umblättern der Seiten...), sondern bleibt stets mit der Frage nach der Verantwortung des Menschen verschränkt.

Die Stärke des Romans liegt darin, dass er die große Geste wagt, ohne ins rein Allegorische abzugleiten. Auf diese Weise entstehen Passagen, in denen kosmische Perspektive und intime Menschlichkeit sich berühren: Wenn Forrester und Zinnober aufbrechen, um das Vermächtnis Aurelius’ zu verstehen, geht es nicht nur um eine äußere Mission, sondern um die »Reise nach innen«, um Identität, Schuld und Hoffnung. Hier entfaltet sich Omni als ein Text, der auf mehreren Deutungsebenen gelesen werden kann – als Abenteuererzählung, als Einführung in das Omniversum und als meditative Betrachtung über die hierarchische Kontextuierung des Menschen im All.

Auch stilistisch überzeugt Brandhorst. Die Sprache ist klar, rhythmisch, gelegentlich von emphatischer Wucht, wenn das Universum selbst zum Gegenüber der Figuren wird. Die Beschreibungen der kosmischen Weiten oder der fremden Artefakte wirken geradezu hymnisch, ohne den Lesefluss zu hemmen. Nur vereinzelt könnte man einwenden, dass die dialogischen Passagen leicht didaktisch gefärbt sind – eine kleine Konzession an den erklärenden Gestus, der in der Hard-SF-Tradition häufig zu finden ist. Doch auch diese Momente stören kaum, sondern verstärken vielmehr den Eindruck, hier werde ein neuer »Mythos der Zukunft« entworfen.

Selbst das Cover trägt zur Wirkung des Romans bei: Illustrator Lorenz Hideyoshi entwirft eine Bildwelt, die das Motiv des kosmischen Übergangs visuell einfängt und die ästhetische Dimension von Brandhorsts Erzählkosmos wirkungsvoll ergänzt.

Aus literaturgeschichtlicher Perspektive betrachtet ist Omni zweifellos ein Werk, das sich in die Reihe großer Zukunftsromane einordnet, die das Verhältnis von Mensch, Technik und Transzendenz neu verhandeln. Es knüpft an Clarke und Lem ebenso an wie an die weitläufigen Zukunftszyklen eines Olaf Stapledon oder an die hermeneutische Dichte von Frank Herberts Der Wüstenplanet (1965). Brandhorst gelingt es, all diese Traditionen aufzunehmen und doch etwas Eigenes zu schaffen: eine deutschsprachige Science Fiction, die internationale Maßstäbe erreicht und den Mut hat, in die größte aller Fragen vorzustoßen – wie klein und zugleich wie bedeutsam der Mensch im Angesicht des Universums ist.

 

Fazit

Omni ist ein Roman, der die Horizonte des Genres weit aufreißt. Andreas Brandhorst gelingt es, klassische Elemente der Science Fiction – Raumschiffe, fremde Welten, das Spiel mit Artefakten von ungeheurer Macht – mit einer philosophischen Tiefe zu verbinden, die man in der deutschsprachigen SF nur selten findet. Gerade darin liegt die große Stärke dieses Buches: Es ist zugleich Abenteuer, Gedankenexperiment und literarische Meditation.

Für Leserinnen und Leser, die in der Science Fiction nicht nur Eskapismus, sondern auch eine Schule des Denkens suchen, ist Omni ein Ereignis. Wer Clarke, Lem oder Herbert schätzt, wird hier vertraute Resonanzen finden, und zugleich eine unverwechselbare Stimme, die den Kosmos neu erzählt – aus deutscher Perspektive, aber mit internationalem Anspruch.

Ich habe diesen Roman mit großer Freude gelesen. Omni hat mich nicht nur bestens unterhalten, sondern inspiriert, nicht nur in ferne Räume geführt, sondern auch Fragen über Verantwortung, Macht und Menschlichkeit neu gestellt. Ein Buch, das bleibt – und das den Auftakt zu einem Werk bildet, dem man mit Spannung entgegenblickt.

 

 

Andreas Brandhorst: OMNI

Klappenbroschur/Paperback

ISBN: 978-3-492-70359-8

Verlag: Piper-Verlag

Erscheinungsdatum der 1. Auflage: 4. Oktober 2016

Die aktuellste Ausgabe ist die 2. Auflage, erschienen am 02. September 2019

 

 

Text: Copyright © 2025 by Christian Dörge.

Buch-Cover: Lorenz Hideyoshi/Piper-Verlag.